Warum wir kein Fan von Verboten sind
Verbote in der Physiotherapie und im Training – Warum das nicht gut ist
Im Bereich der Physiotherapie und Training gibt es zahlreiche Empfehlungen, die nicht selten mit Verboten gleichgesetzt werden können. Solche Aussagen über was man tun sollte, um Ziele wie Kraftaufbau, Ausdauersteigerung oder Körperfettreduktion zu erreichen, erzeugen viel Unsicherheit, Angst und sogar Misserfolg. Ob es sich um die Vermeidung bestimmter Übungen oder Trainingsmethoden handelt – Verbote können mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.
Nicht selten kommen Patient*innen zu uns und erwähnen: "Er sagte, ich werde nie wieder Skifahren können und ich solle mich damit abfinden!" oder "Man hat mir gesagt, ich darf in der Schwangerschaft keine Gewichte heben?" oder "Joggen ist doch schlecht für die Knie?"
Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an. Lisa* kommt zu uns. Sie leidet seit zwei Jahren an Knieschmerzen, bisher kein zufriedenstellendes Behandlungsergebnis, eigentlich gibt es nicht einmal eine richtige Diagnose. Man sagte "Mach keine Kniebeuge, denn die schmerzt und knirscht im Gelenk. Verzichte auf solche Übungen für eine gewisse Zeit, dann wird es dir danach besser gehen". Gesagt, getan. Lisa geht es tatsächlich besser. Die Schwellung ist zurückgegangen, der Schmerz quasi verschwunden. Sie beginnt wieder mit dem Krafttraining. Prompt einen Tag später ist die Schwellung zurück, der Schmerz sogar intensiver als vorher. Was hast das Verbot gebracht? Nichts. Im Gegenteil, jetzt ist Lisa sehr frustriert und vor allem verwirrt. Was wäre da der bessere Weg?
Kommen wir einmal darauf zurück, was passiert, wenn gegenüber Patient*innen und Kund*innen gegenüber Verbote ausgesprochen werden. Und anschliessend dazu, was stattdessen getan werden könnte.
1. Individuelle Bedürfnisse werden ignoriert
Jeder Mensch ist einzigartig, und das gilt auch für die Bedürfnisse und die Reaktion des Körpers auf verschiedene Behandlungs- und Trainingsmethoden. Ein Verbot, beispielsweise eine Übung nicht auszuführen, könnte unnötig und sogar kontraproduktiv sein. Verbote vernachlässigen die Individualität der Trainierenden und führen oft dazu, dass wichtige Aspekte des Trainings nicht genutzt werden. Ausserdem, wie können wir jemandem verbieten, der*die leidenschaftlich gerne joggen geht und es als mentalen Ausgleich braucht, nur, weil irgendwann einmal jemand behauptet hat es führe zu Arthrose? (Das dem nicht so ist, ist ein anderes Thema). Oder wie realistisch ist es, einer 80 Jährigen zu verbieten, Zusatzgewichte bei Übungen zu nehmen, wenn sie zuhause allein lebt und die Wäsche in den Keller tragen muss? Stattdessen: Patient*in genauer anschauen, sich nach dem Umfeld erkundigen, das Gesamtbild betrachten. Modifikationen anbieten, eine gewisse Übung ggf. vorerst zu erleichtern, bis die Beweglichkeit besser ist oder die Schmerzen weniger.
2. Psychologische Auswirkungen
Verbote können die Motivation und den Spass am Training erheblich beeinträchtigen. Wird jemandem gesagt, dass er oder sie eine bestimmte Übung nicht machen darf, kann das mentale Auswirkungen haben. Und das führt zu einer negativen Einstellung gegenüber dem Training und schlechteren Gesundheitszustand. Wenn Trainingsziele mit Verboten verknüpft sind, kann sich ein Gefühl von Angst und Frustration breitmachen, was langfristig zu einer Vermeidung des Trainings führt. Die Angst steigt weiter, was nicht selten zu Verschlechterung des Allgemeinzustands führt. Ein Teufelskreis. Stattdessen: Ziele definieren, Kompromisse finden, die dem Körper aber auch der Psyche nicht schaden.
3. Fehlende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
Ein „verbotenes“ Trainingsregime kann dazu führen, dass wichtige Trainingsaspekte nicht ausprobiert werden. Das schränkt die Vielseitigkeit ein, die oft notwendig ist, um Plateaus zu überwinden oder neue Fortschritte zu erzielen. Wer immer nur in den gleichen Bahnen fährt, wird langfristig keine Fortschritte sehen. Verbote hindern Menschen daran, im Alltag zu funktionieren. Stattdessen: Behandlungen und Trainings sollten ein dynamischer Prozess sein, die sich an die Entwicklung und die Bedürfnisse des Einzelnen anpassen.
4. Förderung von Extrempositionen
Ein weiteres Problem bei Verboten ist die Tendenz zu extremen Ansichten. Statt einen ausgewogenen Ansatz zu wählen, neigen einige dazu, in Schwarz-Weiß-Kategorisierungen zu denken: „Diese Übung ist schlecht und sollte nie gemacht werden“, „Fett sollte vollständig aus der Ernährung gestrichen werden“ oder „Nur das Training mit sehr hohem Gewicht ist effektiv“. Stattdessen: Offen sein für Neues. Immer wieder nachfragen, zuhören und besprechen, gemeinsam eine Lösung suchen. Sich auf den aktuellen Stand bringen, was Forschungsergebnisse betrifft.
5. Verletzungsgefahr und chronische Beschwerden durch falsche Alternativen
Wenn bestimmte Übungen verboten werden, wird häufig keine gute und durchdachte Alternative angeboten. Anstatt einer verbotenen Übung eine sichere und effektive Variante zur Seite zu stellen, könnte es zu falschen Kompromissen kommen, die sogar das Risiko von Verletzungen erhöhen. Wenn nur eine begrenzte Anzahl von Übungen erlaubt ist, könnte der Körper einseitig belastet werden. Stattdessen: Behandlungen und Übungen modifizieren. Nicht weglassen. Versuchen weniger Wiederholungen zu machen, mehr Pausen einzubauen, andere Ausgangspositionen finden, bis es besser geht.
6. Vermeidungsverhalten und das Verlassen der Komfortzone
Die Physiotherapie und das Training sollten dazu anregen, den eigenen Körper herauszufordern und an Grenzen zu stossen (mit Vorsicht). Wenn man bestimmte Techniken oder Übungen grundsätzlich vermeidet, hindert man sich daran, sich weiterzuentwickeln und neue Fähigkeiten zu erlernen. Natürlich sind manche Übungen anspruchsvoll, und nicht jede*r hat zu Beginn die nötige Kraft oder Technik. Doch gerade die Übungen, die Probleme machen, können die sein, die ursächlich sind für den Zustand. Stattdessen: An Grenzen gehen, aus der Komfortzone gehen, immer mit Rücksicht auf die gesundheitliche Verfassung.
Fazit: Behandlungen und Trainings sollten auf Wissen, nicht auf Verboten beruhen
Statt ein starres Regelwerk mit Verboten aufzubauen, sollte der Fokus darauf liegen, Behandlungs- und Trainingstechniken zu verstehen und individuell anzupassen, dabei Empfehlungen zu geben. Ein flexibler Ansatz, der sich nach den Zielen, Fähigkeiten und der gesundheitlichen Verfassung richtet, ist der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg.
Im Endeffekt geht es beim Training um Lernen und Weiterentwicklung – und das gelingt am besten ohne Einschränkungen, die den natürlichen Entfaltungsprozess behindern.
Best, Anneke & Oliver